Marc von der Hocht – Akasha
19.6. – 1.8.2015

In Marc von Hochts dritten Einzelausstellung bei Semjon Contemporary zeigt der Künstler neue Malereien und inszeniert zugleich einen Schwerpunkt auf seine Collage.

Tinda, die großformatige Leinwand in den Abmessungen von 250 x 200 cm, wie inzwischen üblich vom Künstler nur in Hochglanzlack gemalt, zeichnet sich durch eine zurückhaltend angelegte Farbpallette aus, die jedoch viele differenzierte lokale Farb- und Flächenbegegnungen/ -Kreuzungen aufweist. Sie sind in seiner ihm eigenen Formsprache von architektonisch anmutenden Farbräumen, man könnte sie auch als abstrakte (Stadt-)Landschaftsräume bezeichnen, gehalten. Im Vergleich zu Stutter *(1, seinem Hauptwerk in der letzten Dialogausstellung mit dem Bildhauer Axel Anklam ist Tinda in seiner Anlage und durch die Farbenwahl kontemplativer, auch wenn – und das ist die Meisterschaft des Künstlers – Stutter einer energetischen Explosion gleichkommt und dennoch in sich wohl ponderiert und balanciert, seine Mitte und Ruhe findet. Auffällig ist das verstärkte Einsetzen von runden Formen in jüngster Zeit, wie sie zum ersten Mal in eben genannter Dialogausstellung bei Stutter zu sehen war. Dieses neuere Element ist durch die Dialog-Ausstellung mit seinem Kollegen Anklam inspiriert worden, da Anklam in seinem Skulpturen biomorph erscheinende, also abgerundete, Formen schafft. Von der Hocht hat sich gerne inspirieren lassen, auf Anklam künstlerisch reagiert und wäre aber zwangsläufig vermutlich sowieso zu ihnen gekommen, weil die Geschwindigkeit unserer Zeit und die damit verbundene selektive, aber auch in die Oberflächlichkeit gehende Rezeption unserer Lebenswelt sein Interesse gilt und diese Form evoziert. *(3)  Nicht umsonst schreibt der Künstler in einem kurzen Essay vom Erleben des Stadtraumes auf seinen täglichen Stadtfahrten auf seinem 28er Canondale: Durch das Tempo im Großstadtverkehr muss ich meinen Blick nach vorne richten und mich konzentrieren, damit nichts passiert. Mein urbanes Umfeld verschwimmt. Banale Objekte, Häuser und Straßenzüge werden in der Kürze ihrer Betrachtung zu verschlüsselten Phänomenen entlang meines Weges. Die Malerei Girder (engl. für Tragbalken) verweist auf die architektonische Herkunft des Bildmotivs und deutet an, wie sich meine konstruierten Bildräume durch das Spiel von Statík, Dynamik und Komposition entwickeln.*(2) Diese Aussage trifft im Großen und Ganzen für alle aktuellen Bilder, nicht nur für Girder zu, ist die tägliche, sich wiederholende Grunderfahrung des Künstler in der Rezeption von Raum und Zeit, generell für ihn richtungsweisend.

Diese Grunderfahrung bzw. Grundstimmung ist auch in den Collagen wiederzufinden, die in dieser Ausstellung zum ersten Mal auf eine stattliche Größe von knapp 52 x 42 cm gewachsen sind. Obwohl sie bisher sehr wohl als Bilder zu begreifen waren, hatten sie durch ihre bescheidene Größe eher den Charakter von Skizzen und mentalen Vorbereitungen für die größeren Malereien. *(4) Ursprünglich gab die Beschäftigung mit der Collage  – von der Hocht ist in dieser Zeit Vater geworden und ein paralleles Arbeiten zu Hause mit ungiftigen Materialien war oberstes Gebot und die Collage bot ihm genau dies an – den neuen Impuls für die Reduktion in der Malerei hin zu einer architektonisch anmutenden abstrakten Malerei. Nun wird die Collage für sich selbst zum ‚bildmächtigen’ Bild, insbesondere begünstigt durch die Entwicklung in die Größe. Man könnte hier auch den Umkehrschluss sehen, dass nun die Malerei die Collage inspiriert, und seine Erfahrung in der Malerei auf die Collage zurückwirkt.
Ein Zwischenschritt mag nicht unwichtig sein: Für die von mir im letzten Jahr kuratierte Ausstellung Lieber Künstler, zeichne mir! Teil 1: Abstraktion, Konkretion, Notation und Struktur hat von der Hocht eigens eine eigene Werkgruppe entwickelt, das Copygramm *(5), das sich in der Größe eines DinA3-Blattes im Wettbewerb mit den anderen 197 Werken von knapp 70 KünstlerInnen sehr gut behaupten konnte. Die Größe des Formats fordert einen Plan, weil der gelenkte Zufall – ein grundlegendes zusätzliches Prinzip der Collage (und hier natürlich im Copygramm) – nicht mehr so spontan einlösbar ist, da sich das Material für die Collage vorwiegend aus Hochglanzzeitschriften, meist im DinA4-Format, aus den Bereichen Design, Architektur und Automobil rekrutieren (ein weiterer Hinweis übrigens für die Geschwindigkeit/Zeit und Raum als Grundthema des Künstlers). Die Atelierpraxis fordert somit beim größeren Format einen bildnerischen Grundplan.

In seiner Ausstellung Akasha geht der Künstler allerdings weiter. Seine architektonische Konstruktion im Raum – sie leiht der Ausstellung den Namen – ist als eine Fortsetzung seiner Grundprinzipien von Geschwindigkeit/Zeit und Raum in der dritten Dimension zu verstehen. Aus gehobeltem Kantholz hat der Künstler eine ‚Archistruktur’ geschaffen, die die Bewegungen seiner Malereien und Collagen aufnimmt, diese zitiert und in den Raum hinein ‚weiterspinnt’. Neben der ästhetisch spannenden Auflockerung der Ausstellungsinszenierung verweist dieses Konstrukt klug auf die Wesenhaftigkeit seiner Kunst. Schon das Strebewerk 1, (UdK-Meisterschülerarbeit, 2014), Strebewerk 2 (kurz danach in der Gruppenausstellung Berlin Masters by Arndt zu sehen und Strebewerk 3, zu erleben bei mir im letzten Frühherbst), verweisen minimalistisch in ihrem Aufbau auf die architektonisch dynamische Eigenschaft seiner zweidimensionalen Werke. Im letzteren wird das Strebewerk gar Teil der Malerei oder umgekehrt, weil es direkt eingebunden ist in den voraus geplanten Leerstellen im Strebewerk.
Auch wenn im Vergleich zum perfekt gezimmerten und weiß gefassten Strebewerk Akasha durch die Naturbelassenheit des Kantholzes ein flüchtig, skizzenhaftes Erscheinungbild generiert, lässt sich auch jetzt wieder sagen, dass die Zukunft des Künstlers erst begonnen hat. Vor dem inneren Augen lassen sich mannigfaltige Entwicklungen sowohl in der Installation, als auch in den Malereien und Collagen prognostizieren. Vor ihm liegen noch so viele Entwicklungsfelder. Nicht umsonst betont Marc von der Hocht, dass er sich in der nächsten Zukunft wieder auf seine Maschinenskulpturen konzentrieren möchte. Auch sie atmen den Geist von der Hochts, kommt aus den funktionslosen Maschinen *(6), die das Design, die Bewegung und die Zeit (und auch die Nutzlosigkeit) zelebrieren, zusätzlich auch mitunter ein Geräusch oder eine Bewegung sowie Licht zum Einsatz.
Akasha wird zu einem Vermächtnis/ einem Masterplan für die Zukunft des Künstlers.

(Wikipedia-Eintrag zu Akasha: In den Kommentaren des Buddhismus findet sich ākāsa als Bezeichnung für zwei Arten des Raumes: Dem durch die Körperlichkeit „begrenzten Raum“ (ākāsa-dhātu) und dem „unbegrenzten Raum“ (ajatākāsa), dem Weltraum.[1][2] In vielen Sutras wird der der Körperlichkeit angehörende „begrenzte Raum“ in der Gruppe der sechs östlichen Elemente (festes, flüssiges, erhitzendes, luftiges Element, Raumelement, Bewusstseinselement) aufgezählt, während der „unbegrenzte Raum“, genau wie die Zeit keine Wirklichkeit besitzt.

Semjon H. N. Semjon,
28. Juni 2015

*(1) Jüngst ist Stutter als das Titelbild für den Dumont-Kunstkalender ausgewählt worden. Der Verlag hat einen großformatigen Kalender für 2016 produziert, der nur aus den Malereien des Künstlers besteht und inzwischen im Buchhandel erhältlich ist.

*(2) Vgl. Kurztext des Künstlers in Kunst & Konstrukt, Ausstellungskatalog anlässlich der Shortlist-Ausstellung für den Kunstpreis der Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst, hrsg. von der Leinemann-Stiftung Stiftung für Kunst und Bildung und des Freundeskreises der UdK/ Karl Hofer Gesellschaft, 2015

*(3) Weiterhin ist der Aufsatz Abstrakte Objekte und ihre Realisisation (Die Malerei von Marc von der Hocht) von Mark Gisbourne zu Marc von der Hochts Malereien in der Rezeption seines Werkes richtungsweisend, publiziert in Marc von der Hocht, Abol Tabol, hrsg. Semjon Contemporary, Berlin, 2013

*(4) ) Vgl. ebenfalls Abstrakte Objekte und ihre Realisisation (Die Malerei von Marc von der Hocht) von Mark Gisbourne.

*(5) Das Copygramm ist eine vom Künstler entwickelte Technik, die durch das Auflegen eines Maschinenteils auf einen Kopierer und der fortsetzenden Neupositionierung des Objektes und Neukopieren auf das gleiche Papier eine architektonisch dynamische formale Sprache in Schwarz-Weiß schafft, die sehr starke formale Bezüge zu seiner Malerei entwickeln. Diese Werkreihe war eine intelligente künstlerische Antwort auf die Einladung zur Teilnahme in der Zeichnungsausstellung. Marc von der Hocht hat eine Zeichnung (im engeren Sinne natürlich eine Papierarbeit) durch die Technik des Copygramm entwickelt, dessen physisches Erscheinungsbild in Textur und Schwarzweißkontrast sehr nahe an eine Zeichnung kommt.

*(6) Vgl. hierzu die erste Einzelausstellung Abol Tabol des Künstlers (publiziert auf der Homepage der Galerie, www.semjoncontemporary.com) in meinen Räumen und meinen kurzen Einführungstext im begleitenden Katalog auf S. 8, Marc von der Hocht, Abol Tabol, hrsg. Semjon Contemporary, Berlin, 2013

Parallel zu Akasha von Marc von der Hocht hat Thomas Prochnow im Garten-Salon der Galerie eine ebenso raumgreifende Installation aufgebaut.

 

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