Colin Ardley, »Levels and Slopes (White II)«, 2008/09, 33 x 161 x 33 cm, Holz, Depafit, Lack; Foto: Luke Abiol
Colin Ardley – Levels and Slopes – Wandobjekte
Die Stabilität des Fragilen Colin Ardleys Wandobjekte prägen sich tief ins Gedächtnis ein und hinterlassen nicht auflösbare Gleichnisse von Stabilität und Fragilität: Sie beunruhigen durch die Wucht der aufgetürmten, ineinander gesteckten und verschränkten, aus Holz und Depafit zu unregelmäßigen Recht- und Dreiecken zugeschnittenen Platten und Stege. Gleichzeitig beruhigen sie als ein Ganzes durch die Summe aller wohl zueinander ponderierten Teile. Die scheinbare Leichtigkeit dieser tektonischen Gebilde wird unterstrichen in der dieser Ausstellung ihren Namen gebenden Arbeit durch die dezente Eigenfarbe des verwendeten Birkenholzes und durch das mattweiß gefaßte Material; auch das vom Objekt abstrahlende komplexe Schattenspiel trägt dazu bei. Die von der Wand in den Raum gehenden Objekte scheinen im Zustand kurz vor dem Abheben, in einem Moment der Versammlung, dessen Stabilität des Schwebens durch das Verschieben eines Segmentes aufgehoben werden könnte. Wenn man weiß, daß bei diesen Tekturen keine Schraube, kein Nagel verwendet wurde, höchstens in minimaler Setzung ein Holzdübel, dann wird die Ehrfurcht vor der komplexen Statik noch gemehrt. Colin Ardley wurde durch den Umzug der Galerie Markus Richter im Jahr 2000 von Potsdam auch in Berlin eingeführt und war zuletzt 2010 in der Ausstellung Transatlantische Impulse in der Akademie der Künste (Kurator: Markus Richter) zu sehen. Er kehrt nun dorthin zurück, von wo er in Berlin seinen Anfang nahm: In die Schröderstraße in Mitte, die sich seit dem Schließen des Galerien-Pioniers Richter grundlegend gewandelt hat. Die Wandobjekte des Künstlers sind sich selbst genug und lassen dennoch darüber sinnieren, ob diese Gebilde nicht als große, den Land- und Stadtraum sowie Fassaden gestaltende Architektur-Skulpturen realisierbar sein könnten. Daß dieser eigenwillige, fern von modischem Kunstmarkt-Firlefanz verortete Kunstschaffende sich der Ambiguität Objekt versus/und Architektur bewußt ist, zeigen seine inzwischen mehrfach realisierten Großprojekte, wie z. B. 2001 die begehbare Rampe in der damals einer Ruine gleichkommenden Berliner Schinkelkirche St. Elisabeth, oder seine im letzten Jahr zwei Architekturen verbindende Großplastik Genius loci im Gebäude-Ensemble Deutsche Werkstätten Hellerau bei Dresden. Colin Ardley besticht durch die Aufrichtigkeit in seinem Werk, dem Erarbeiten von eigensinnigen Formen, die tausend Einzelteile – scheinbar zufällige, doch allesamt in aufwendiger Arbeit einzeln hergestellte Teilformen – einem fragilen Chaos gleich zu einem Ganzen fügt. Es trägt Stabilität und Ruhe in sich und verleugnet nicht die divergierenden Kräfte unter dem zusammenfassenden Mantel der Ponderation. Es läßt vielmehr ihre widerstreitenden Wirkkräfte eingebunden in der komplexen Gesamtstatik zu. Ich freue mich, diesen außerordentlichen Künstler in meinen neuen Räumen in der uns vertrauten Straße dem neuen und alten Publikum vorstellen zu dürfen.
Semjon H. N. Semjon, Oktober 2011