Thomas Prochnows – edit_BLACK
Dem Selbstreferentiellen ein Schnippchen schlagen

20.1. – 4.3.2017

Schon sind zwei Jahre vergangen, dass Thomas Prochnow im Kunstverein Gera seine Ausstellung EDITzeigte. So frisch ist sie noch in Erinnerung mit seiner selbstbewussten Geste einer massiven Raumintervention mittels einer diagonal eingebauten blauen Wand, die den eigentlichen Hauptraum mit seinen alten schönen Erkerfenstern verstellte und als Wandabschnitt im nächsten Raum endete, die Räume schaffende tragende Wand optisch durchbrach. Die Gewohnheit des Sehens, das gewohnte Erleben der Kunstvereinsräume, war auf den Kopf gestellt, für die ortskundigen Besucher eine Herausforderung.
Leiser und subtiler ging es in den anderen Räumen zu. Hier stellte Thomas Prochnow seine kleineren, zumeist klassisch als Tafelbild zu definierenden Wandarbeiten vor, die er unter den ausstellungstragenden Titel EDIT zusammenfasste (vgl. den vorzüglichen gleichnamigen Katalog, eigentlich ein Künstlerbuch, zusammen mit Markus Postrach und Christian Rothe aus Weimar gestaltet).
Editierte er mit BW_KVG15 (so hieß die blaue Wandinstallation) den Raum, so stellte er einen Kosmos aus seiner Werkreihe vor, die sich mit dem Editieren von unikatären Kunstwerken auseinandersetzte, die mindestens eine künstlerische Strategie gemeinsam haben: Die Befreiung des vorgefunden Dinges, z.B. von Holzplattenresten aus ihrem kontextuellen und somit bedeutungsspezifischen Wert, wie z.B. Abfallholz, Teilen einer Türverschalung, oder bei den Erste-Hilfe-Rettungsfolien von deren ursprünglicher Funktion als Wärmeisolierung zu einem Ausgangsmaterial für neue schöpferische Gewerke wie die – inzwischen schon fast kanonisch zu nennenden – Holzbilder oder aber auch Reflektor Gold, Reflektor Silber.
Der schöpferische Akt ist jedoch nicht gleich dem smarten Duchampschen Manöver der Kontextverschiebung – raus aus dem Sanitärfachgeschäft, rein ins Museum –, sondern das vorgefundene Ding wird als Arbeitsmaterial verstanden, das den Bedürfnissen des Künstlers gefügig gemacht wird. Wir ahnen, dass der Künstler eigens einen Lagerraum für die Vielfalt der Fundmaterialien hat.

Mit der aktuellen Ausstellung edit_BLACK bei Semjon Contemporary konzentriert sich Thomas Prochnow auf einen Ausschnitt des eben angesprochenen Werkkomplexes.
Schwarz als Farbe ist ein Editiermerkmal, eine Editiergröße, die durchgängig bei allen Kunstwerken dominant vertreten ist. Sie ist gewissermaßen eine
(Sub-)Ordnungsstruktur. Die Bedeutung des Ausstellungstitels impliziert auch die Möglichkeit von edit_White, eine Ausstellung, die den Wünschen des Künstlers zufolge sich der jetzigen zu einem späteren Zeitpunkt anschließen wird.

Der Ersteindruck beim Betreten des Galerieraumes oder bei der Sicht durch das Schaufenster mag irritieren. Schwarze Kunstwerke in uns zumeist vertrauten DIN-Normgrößen vor einer weißen, jetzt plötzlich gleißenden Wand. Ein reiner Schwarz-Weiß-Kontrast. Beginnt man jedoch das einzelne Werk in Augenschein zu nehmen, wird schnell klar, dass Schwarz nicht gleich Schwarz ist. Zwischentöne sind das Thema, geboren aus der Materialdifferenz der verschiedenen Kunstwerke. Das Druckerschwarz des Kopierers ist ein anderes als das Druckerschwarz eines Offsetdrucks, zumal überlackiert oder matt gedruckt, wie bei den Werken O.T. (e_1.2015/2017) , O.T. (e_2.2015/2017) und O.T. (e_3.2012) zu sehen, bei denen Prochnow je Bild immer aus dem Einladungskartenfundus seiner vergangener Ausstellungen schwarzgrundige Partien zu einer geometrischen Form seriell zuschneidet und auf einer Aludibondplatte montiert. Mal chaotisch, wie durcheinandergewürfelt fixiert, mal streng geordnet zu einem Muster gefügt, das jedoch brüchig wird durch die Verweigerung der schaffenden Hand, zu streng einem selbstauferlegten Regelwerk zu folgen.
Doch beim bedruckten Papier/Karton bleibt es nicht: Prochnow verwendet für seine edit_BLACK-Werke auch Videokassetten, mal seriell zu einem Bild montiert, die die uns bekannte Hauptseite als Schauseite zeigt, mal andersherum, uns plötzlich fremd vorkommend, weil wir der Rückseite der Kassette nie Beachtung schenkten.
In einer Serie von DIN-A2-Arbeiten führt er uns exemplarisch die Verwendung von unterschiedlichsten Materialien vor. Alle auf das Normmaß zugeschnitten und auf Aludibond kaschiert. Die ausfransende Plastikfußmatte, im realen Leben ästhetisch ein Graus, bekommt ihr neues Leben durch den Zuschnitt auf die vom Künstler bestimmte Normgröße. Die Bändigung der Plastikborsten durch einen verschweißten Kantensaum ist getilgt. Daneben hängt ein Bild, das aus dickwandigen und längsrechteckigen schwarzen, seidig-matt glänzenden ‚Plastikkacheln‘ besteht. Dicht an dicht sind sie geklebt und erinnern an Mauerwerk. Der Ursprung des Materials ist nicht mehr dechiffrierbar. Das dritte hier gezeigte Bild saugt durch sein stumpfes, leicht mit Erdtönen gesprenkeltes Gummi das Licht auf und erhält damit ein sehr eigentümliches Schwarz. Die Reihung von so verschiedenen schwarzen Materialien, alle auf eine Größe geschnitten, kommt fast einer Deklination gleich. Die Reihe ließe sich unendlich fortführen. Doch das wäre auch Thomas Prochnow zu viel des Guten. Die Strenge wird aufgebrochen durch eine gänzlich andere Werkgruppe, die plötzlich der Spontaneität und Individualität großen Raum beimisst. Seine Hinterglasverklebungen O.T. (e_1A.2016), O.T. (e_1B.2016) und O.T. (e_1C.2016) sind komponierte Bilder, die aus rechteckig zugeschnittenen schwarzen Klebebändern bestehen, die auf einer Glasseite in einem Rhythmus sich überdeckend geklebt werden. Sie funktionieren von der Glasseite als Schauseite – und erinnern so an Hinterglasmalereien – oder auch umgekehrt und lassen die Schichtungen der matten Kleberechtecke haptisch erspüren.

Thomas Prochnows erste, allerdings kleine Einzelausstellung von 2015 war Bestandteil der ehemaligen Galerieausstellungsserie Fokus Garten-Salon. Hier editierte Prochnow die Essenz eines fotografischen Werkes zu einer raumgreifenden und neu interpretierenden bemalten Wandskulptur. Doch nicht nur diese Übersetzung einer Fotografie in eine raumgreifende, durchmessende Skulptur ist als ein Prochnowsches Editierwerk zu verstehen, sondern bereits die Fotografie ist das editorische Resultat einer Vorgängerarbeit: Der schwarze Kreis auf einem Autobahnbrückenpfeiler ist ein interventionistischer Akt im, hier anonymen, Außenraum, den er subsummierend als 2. Öffentlichen Raum bezeichnet. Dieser Begriff umfasst auch leerstehende Gebäude und Ruinen. Zeugnis von dieser sehr umfassenden Werkserie mit imposant großen Fotografien war Prochnows letzte Galerieausstellung kraftWERK vor einem Jahr. Zwei Werke, die sich auf seine künstlerische Intervention in den Katakomben des Berliner Tresor, einem angesagten Club in einem ehemaligen Kraftwerk, bezogen. Parallel dazu hatte die Stiftung Zollverein im Rundeindicker der stillgelegten Zeche in Essen eine Werkschau aus dieser Arbeitsserie ausgerichtet. Doch damit nicht genug. Der Künstler ‚musste‘ den beeindruckenden, aber ausstellungstechnisch schwierigen, weil kreisrunden, und sich aufwölbenden Raum mit einem künstlerischen Eingriff ‚editieren‘ (vgl. den ebenso vorzüglichen, die Ausstellung begleitenden Katalog, wieder ist es eigentlich ein Künstlerbuch geworden, und ebenfalls in Zusammenarbeit mit den oben genannten Grafikern entstanden).

So fügen sich die verschiedenen Werkgruppen zusammen zu einem Prochnowschen Kosmos von Editierwerken, die eine Klammer in einem – für die Ausstellungsdramaturgie herauseditierten (!) – Werk findet. Der schwarzen Kreis der Einladungskarten seiner schon erwähnten Ausstellung Fokus Garten-Salonist als Künstlermaterial zurechtgeschnitten genutzt worden. Allein die kleinen verbliebenen Restflächen Grün, nun zum Muster geordnet und sich wiederholend, hätten das radikale Konzept von SCHWARZ zu sehr gebrochen.

Semjon H. N. Semjon
Januar 2017

 

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